Ein Spaziergang durch Liegnitz

In einem alten Stadtplan Ende der 30er Jahren wird Liegnitz wie folgt beschrieben: "Im Kranze der Städte der deutschen Ostmark ist Liegnitz bekannt als die Gartenstadt des deutschen Ostens. In der Tat bilden die weit über 100 ha umfassenden städtischen Garten- und Waldparkanlagen als Musterbeispiel einer hoch entwickelten neuzeitlichen Gartenbaukunst einen der Hauptanziehungspunkte des schlesischen Fremdenverkehrs. Am eindrucksvollsten sind der bekannte Liegnitzer Palmenhain mit seinem heizbaren Teich, der größten Freianlage Deutschlands dieser Art, und der Rosengarten mit den großartigen Wasserkünsten. Das große Palmenhaus nimmt im Winter die tropischen Pflanzen, besonders die verschiedensten Palmenarten, auf und enthält auch seltene Kakteen."

Weiter heißt es darin, dass sich in der malerisch gelegenen Altstadt schöne Stadtbilder aus den früheren Jahrhunderten erhalten haben. So sind städtebauliche Sehenswürdigkeiten im besonderen das altehrwürdige Piastenschloss (1163 - 1675), der Glogauer- und der Haynauer-Torturm, die letzten Zeugen vieler einstiger Stadt Türme und das berühmte Barockviertel mit der Johanneskirche und ihren beiden 78 m hohen, 1414 bis 1417 erbauten Fassadentürmen und der in ihr befindlichen Piastengruft, mit dem Jesuitenkollegium, dem Leubuser Haus und der gewaltigen Ritterakademie. Am historischen Ring im Mittelpunkt der Stadt liegen das im Barockstil gehaltene alte Rathaus, die altertümlichen, als Giebelhäuser ausgebauten Heringsbuden, der 1731 errichtete Neptunbrunnen, im Volksmund "Gabeljürge" genannte, das in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erbaute schönste Renaissancehaus der Stadt, das Haus mit dem Wachtelkorb, verziert mit Bildern aus der Mythologie in Sgrafittotechnik, gegenüber dem 1842 von Langhans d.J. erbauten Stadttheater und die im 14. Jh. als Basilika erbaute Peter-Paul-Kirche, die seit Ende des 19. Jh., als die schadhaften Mauern mit einer Kunstziegelverblendung ummantelt wurden, den Eindruck einer gotischen Kirche macht. Sie ist jetzt katholische Bischofskirche. Die einzige evangelische Kirche ist heute noch die Liebfrauenkirche. Sie gilt als die älteste Kirche der Stadt und dient auch heute noch den evangelischen Bewohnern als ihr Gotteshaus. Die beiden anderen Kirchen, die Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche und die Dreifaltigkeitskirche sind Bauten aus den ersten zehn Jahren des 20. Jahrhunderts.

Über die Geschichte der Stadt Liegnitz heißt es, dass ihre Anfänge bis ins 12. Jahrhundert, den Beginn der Herrschaft der Piastenherzöge zurückreicht. Ereignisse weltgeschichtlicher Tragweite haben sich hier abgespielt. So die blutige Mongolenschlacht 1241, in der Herzog Heinrich II., Sohn der Heiligen Hedwig, den Heldentod starb, oder der Sieg Friedrich des Großen bei Liegnitz 1760 und die Befreiungsschlacht Blüchers an der Katzbach 1813. Als Regierungshauptstadt war sie Sitz zahlreicher Staats- und Kommunalbehörden und bedeutender Standort des Militärs. Sie verfügte auch über einen bedeutenden Fliegerhorst. Der Liegnitzer Bahnhof war ein imposantes prächtiges Gebäude. Wegen ihrer vielen Schulen wurde Liegnitz nicht zu unrecht Stadt der Schulen genannt.

Durch Eingemeindungen wuchs das Stadtgebiet 1937 auf 2714 ha an. Es wurde von der neuen Autobahnstrecke Breslau - Berlin berührt. Man zählte 1939 mehr als 80 000 Einwohner. Das Wirtschaftsleben wurde vom hoch entwickelten Gemüseanbau bestimmt; die "Liegnitzer Gurken" sind noch heute weltbekannt. Bedeutend waren auch die Textil-, Maschinenbau- und die holzverarbeitende Industrie. Ebenfalls weltbekannte Qualitätserzeugnisse kamen aus der Pianofortefabrikation. Nicht zu vergessen sind die berühmten "Liegnitzer Bomben", ein vorzügliches Schokolade-Lebkuchen-Gebäck. Die reizvolle Umgebung mit dem waldreichen Bober-Katzbach-Gebirge und dem nahen Riesengebirge geben dieser schönen schlesischen Stadt den ihr gebührenden Hintergrund.

Erich Stübinger